Promotion? Mit Kind!

Wer sind wir?

Wir, die Autorinnen dieses Beitrags, sind vor knapp zwei Jahren einem Aufruf über den Mailverteiler der DGSA gefolgt, der ein digitales Vernetzungstreffen von promovierenden Eltern vorgeschlagen hat. Bei diesem Treffen wurde einerseits deutlich, dass viele von uns den Austausch mit Mitstreiter*innen suchen, andererseits wurde das Anliegen vorgebracht, an den Strukturen für promovierende Eltern zu arbeiten, also ferner disziplinäre Entwicklungen anzuregen. Zu diesem Zweck gründeten wir die IG-SESA, die Initiativgruppe ‘Stärkung promovierender Eltern in der Sozialen Arbeit’. Seither treffen wir uns im digitalen Raum, um relevante Literatur zu sammeln und zu diskutieren und Aktivitäten zu planen.

Was machen wir?

Nachdem wir uns über unsere Ziele verständigt und diese veröffentlicht haben[i], konnten wir ein Lehrforschungsprojekt nutzen, um qualitative Daten zu den Lebens- und Arbeitsbedingungen promovierender Eltern in der Sozialen Arbeit zu erheben[ii]. Diese Ergebnisse haben wir dann für die Teilnahme und Publikation[iii] im Rahmen der Tagung zum Thema ‘Scheitern in Praxis und Wissenschaft Soziale Arbeit’ genutzt.

Warum nun dieser Blogbeitrag?

Wir verfolgen mit diesem Blogbeitrag verschiedene Ziele. Erstens möchten wir auf die spezifischen Lebensrealitäten promovierender Eltern in unserer Disziplin aufmerksam machen, zweitens wollen wir unsere Mitstreiter*innen stärken. Stärken durch Berichte aus unserem Leben als promovierende Eltern. Dazu haben wir Anekdoten gesammelt, die Ausschnitte aus dem Leben promovierender Eltern in der Sozialen Arbeit darstellen. Viel Spaß beim Stöbern.


Der Countdown läuft – Das Kind wird krank 

Es sind noch 10 Tage bis zu meiner Disputation. 10 Tage verbleiben bis zu der bislang anspruchsvollsten Prüfung in meiner Bildungsbiografie, 10 Tage bis zu meinem Grande Finale. Eine Zeit, die ich nutzen möchte für tägliche Probedurchläufe meines Disputationsvortrags, für vielzählige Wiederholungen des wohlüberlegten und sich ständig transformierenden ‘ersten Satzes’, für eine intensive aber auch möglichst entspannte Einstimmung auf die anstehende Aufgabe. Mir ist klar, dafür bleibt mir täglich ein Zeitfenster von ca. 6 Stunden – solange die Kinder außerhäuslich betreut sind. Aber diese Zeit effektiv zu nutzen, das habe ich in den Jahren meiner Mutterschaft gelernt, das bin ich mittlerweile gewöhnt. Alles gut also, alles läuft nach Plan.

Bis dann eins der Kinder in der Bürotür steht mit den Worten: „Mama, ich glaub ich werde krank.“ Kein Zweifel: fiebrige Augen, Husten, Schnupfen. Das Kind ist krank. Auch im Umgang mit plötzlichen Erkrankungen hat sich in den letzten Jahren eine gewisse Routine entwickelt, doch in der Ausnahmesituation, in der ich aufgrund der anstehenden Disputation nun Mal war, konnte ich diesem Augenblick mit nur wenig Gelassenheit begegnen.  

Neben der Vorbereitung meiner Disputation pflege ich nun also mein krankes Kind und versuche mich dabei nach Möglichkeit nicht anzustecken. Mit Wärmflasche im Rücken und Tee in der Hand, um den Viren so kurz vor dem großen Tag jede Angriffsfläche zu entziehen, liege ich neben meinem Kind. Es ist gelangweilt, weil Mama ja ständig in Büchern blättert und in den Laptop tippt, und es überredet mich dazu, mein Smartphone nutzen zu dürfen. Die ‘Anton-App’. Dem Wunsch hatte ich nichts entgegenzusetzen, denn es handelt sich dabei um ein unterrichtsbegleitendes Tool.

Ich arbeite gerade das Diskussionskapitel meiner Dissertation durch, um meine zentralen Argumentationslinien kognitiv parat zu haben, das Kind mit meinem Smartphone in der Hand liegt neben mir. Es beschäftigt sich mit Grammatikregeln. Ich lese in Gedanken:

„…damit die spezifische Fachlichkeit in der multiprofessionellen Koop-“

Kind: „Mama? Ist ‚Kaffee‘ ein Nomen?“

Ich: „Ist Kaffee eine Person?“

Kind: „Nein.“

Ich: „Ist Kaffee ein Tier?“

Kind: „Nein.“

Ich: „Ist Kaffee ein Ding?“

Kind: „Ahhh.“

Sie tippt, ich lese weiter: „…-eration gelingen kann….“

Im Anschluss wundere ich mich über diese Situation, die selbstredend fordernd war, mich aber auch mit einem gewissen Stolz erfüllt. Ich staune regelrecht über die Fähigkeiten von uns (promovierenden) Müttern. Wie in diesem Beispiel werden wir unseren verschiedenen Rollen zur gleichen Zeit gerecht, allerdings geht das keineswegs immer so leicht von der Hand, wie der zitierte Dialog vielleicht implizieren mag.

Übrigens, ich habe mich letztlich angesteckt, war aber auch rechtzeitig wieder gesund und durfte meine Disputation so meistern und erleben, wie ich mir das vorgestellt hatte.


Mission (im-)possible?

Ein kleiner Ausschnitt aus einigen Monaten meiner Zeit als promovierende Mutter, der aufzeigt, wie Anforderungen als Mutter (regulär) und Wissenschaftlerin (kursiv) parallel zu meistern waren.

Juli/August: Habe noch Mutterschutz/Urlaubssemester aufgrund der Geburt meines Kindes. // Mache Sekundäranalysen und verfasse einen Bericht dazu, prüfe die Übersetzung meiner Studie in diverse Sprachen, stelle sie online und organisiere Webinare zu deren Verbreitung.

November/Dezember: Mein Mann hat nun Elternzeit und kann mit unserem Kind Zeit verbringen. // Habe etwas mehr Zeit zur Einhaltung von Deadlines bezüglich meiner Dissertation und für die diversen Credits, die ich im Rahmen der strukturierten Promotion erwerben muss.

Januar/Februar: Zum Glück haben wir etwas Geld für Babysitter übrig, denn wir haben keinen staatlich geförderten Betreuungsplatz bekommen und auch keine familiäre Unterstützung. // Reiche fristgerecht diverse Hausarbeiten ein und erwerbe damit die 20 Credits für Kurse, die ich dieses Semester belegt habe.

März/April: Meine Rolle als Mutter und als Wissenschaftlerin verschwimmen im Alltag noch mehr als sonst ohnehin schon. Mache wochenlang Nachtschichten aufgrund einer Deadline: Im 2-Stunden-Rhytmus mein Kind stillen und meine Studie auswerten, das Datenset bereinigen, und die Ergebnisse in Form eines Berichts verfassen. Ich habe das Gefühl, dass mein Kind merkt, dass ich im Stress bin und daraufhin noch mehr Nähe einfordert als gewöhnlich.

Zwischenfazit: Mission (im-)possible?

„Zähne zusammenbeißen“, heißt es so schön – oder doch lieber doch nicht so fest, weil keine Zeit für Krankheit und Arztbesuche in der Promotionszeit vorgesehen ist.

Außerdem ist mir gerade auch mehr danach, die Strukturen in der Wissenschaft und Arbeitswelt zu verändern, welche Bedingungen vorgeben, die Elternschaft nicht berücksichtigen. Auch an unserem Betreuungssystem gibt es einiges zu verbessern, damit Berufstätigkeit (in der Wissenschaft und auch in Doppel-Karriere-Partnerschaften) ermöglicht wird.

Zusammengenommen eigentlich schon wieder eine Aufgabe zu viel für eine promovierende und berufstätige Mutter.


Augen zu und Laptop auf

Als ich als Antwort auf meine Bewerbung für ein Promotionsstipendium auf die Auswahltagung einer Stiftung eingeladen wurde, freute ich mich in erster Linie auf Kuchen. Dass ich dort noch mehr als Süßgebäck und Apfelschorle bekommen könnte, glaubte ich kaum, als ich mit gut sichtbarem Babybauch meine Reise antrat. Wieder zu Hause angekommen, besuchte ich den Geburtsvorbereitungskurs, besorgte die Babyerstausstattung und fischte zu meiner großen Freude die Stipendienzusage aus dem Briefkasten.

Somit tauschte ich mein Büro in der Sozialpädagogischen Familienhilfe gegen Homeoffice und gleichzeitig den Babybauch gegen eine wunderbare Tochter. Ich tauschte gegen das überragende Gefühl, Mutter zu sein UND meine eigene Forschung voranzubringen.

Wenn ihre Augen zufielen, klappte mein Laptop auf. Die Grundlagen und die Literaturrecherche für meine Forschung erarbeitete ich an sie angekuschelt, vom Bedoffice aus. Oder aus dem Couchoffice heraus.

Mittlerweile fährt sie allein mit dem Fahrrad die Straße hinunter und besucht ihre Freundin. Wenn ich vom Büro aus hinterherschaue, erinnert sie mich unwillkürlich daran, dass meine Dissertation auch langsam mal groß werden sollte.

Die Freiheit, mir meine Zeit mit der finanziellen Förderung frei einteilen zu können, gab mir mehrheitlich den Eindruck, eben doch alles haben zu können: eine Familie und die Möglichkeit, mich weiter zu qualifizieren. Deutlich wird aber auch: Gleichmäßig kann ich Zeit nicht aufteilen. Meine Ansprüche an mich selbst in meinen verschiedenen Rollen stehen jeder Zeit konträr gegenüber. Ganz sicher jedoch werde ich als Frau Doktorin zuschauen, wenn sie das erste Mal allein mit einem Auto die Straße hinunter fahren wird.


Und nun?

Vielleicht regen die kurzen Texte zu individuellen Reflexionen an à la : „Ah, anderen geht es genauso wie mir manchmal…“, „Stimmt, mit Kind(ern) ist das nochmal ganz anders…“, „so war das bei mir damals auch…“, „sollten wir in der intradisziplinären Nachwuchsförderung Elternschaft stärker berücksichtigen?“

Die drei Anekdoten sind zufällige Beispiele aus unserem Alltag als promovierende Mütter. Sicher hätten wir noch viel mehr aufschreiben können und sicher haben wir im Trubel des Alltags so einige mitteilungswürdige Augenblicke vergessen. Vielleicht lässt sich diese kleine Sammlung auch erweitern, um Erfahrungen von Personen, die unseren Beitrag gelesen haben. Die Kommentarspalte unter unserem Beitrag könnte ein geeigneter Ort dafür sein. Und falls wir das Interesse einer Mitwirkung an der IG-SESA geweckt haben, dann freuen wir uns über eine Nachricht – gerne an: esommer26@googlemail.com.

Rebecca Daniel (Soziale Arbeit M.A.) – Empowerment Studies & Development Education. DGSA-Mitglied und Mitglied der AG Internationale Soziale Arbeit; Forschungsschwerpunkt der Promotion: Politische Teilhabe von Menschen mit Behinderungen; Inklusion in der internationalen Zusammenarbeit; E-Mail: rebecca.daniel@posteo.de

Steffi Heger(Soziale Arbeit M.A.) – promoviert zum Thema Achtsamkeit im Studium der Sozialen Arbeit und leitet als Sozialarbeiterin stellvertretend ein Zentrum der Kinder- und Jugendhilfe, Gründungsmitglied der Initiativgruppe Stärkung promovierender Eltern in der Sozialen Arbeit, E-Mail: heger-steffi@web.de

Elisabeth Sommer(Post-Doc, Soziale Arbeit M.A.) – DGSA-Mitglied seit 2019, Gründungsmitglied der Initiativgruppe Stärkung promovierender Eltern in der Sozialen Arbeit, Schwerpunkt der Promotion: Soziale Arbeit in multiprofessioneller Kooperation mit Gesundheitsberufen, Geschlechterdynamiken in Professionalisierungsprozessen, E-Mail: esommer26@googlemail.com

[i] Eine Beschreibung zur Initiativgruppe ist zu finden unter: https://www.researchgate.net/publication/358786725_Beschreibung_IG_SESA

[ii] Das Lehrforschungsprojekt mit dem Titel „Vereinbarkeit von Familie und Wissenschaft – Lebens- und Arbeitsbedingungen promovierender Eltern in der Sozialen Arbeit“ wurde von 16 Studierenden des zweiten Semesters im Bachelorstudiengang Soziale Arbeit unter der Leitung von  Elisabeth Sommer an der HAW Landshut  umgesetzt.

[iii] Daniel, Rebecca; Franz, Anja; Heger, Steffi; Sommer, Elisabeth (i.E.): Promovieren mit Kind – zum Scheitern verurteilt? Explikationen im Kontext von Promotionsabbrüchen. In: König, Karsten; Kessler, Stefanie: Scheitern in Praxis und Wissenschaft Soziale Arbeit. Weinheim: Beltz Juventa.  


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