„Back to the roots“ oder „Woher kommen die Gender und Queer Studies“?

Bisweilen vergessen wir, dass es die Frauenbewegungen der 1970er Jahre waren, die den Anstoß für Women Studies, für Frauen- und Geschlechterstudien gaben und ihre Themen in die Universitäten und Hochschulen trugen. 1984 wurden in Hessen erstmalig Sondermittel für Frauenlehre- und Frauenforschung an den Hochschulen verteilt. Damit verbunden war von Anbeginn der Kampf um Anerkennung und Etablierung feministischer Themen an Universitäten und Fachhochschulen.

Den 6. #4Genderstudies Wissenschaftstag am 18.12.22 möchte ich zum Anlass nehmen, um einen Blick in die Vergangenheit zu werfen. Eine erste von mir als Lehrbeauftragte am FB Sozialpädagogik der FH Frankfurt in diesem Kontext durchgeführte Studie erhob den Stand der Frauenstudien- und -lehre an hessischen Fachhochschulen. Es wurden die kommentierten Studienführer aller sozialen Fachbereiche der Fachhochschulen und der Gesamthochschule Kassel im Zeitraum von 1986 bis 1988 ausgewertet und anschließend qualitative Interviews mit 14 Professorinnen über deren Zugänge, ihr Selbstverständnis und ihre Erfahrungen mit Frauenstudien- und -lehre geführt. 
 
Aus diesen mehr als 30 Jahre alten Interviews hier einige unkommentierte Originaltöne zum Erinnern, inspirieren lassen und Weiterdenken. Die Lesenden mögen sich ein eigenes Bild machen. Auch zum Kommentieren möchte ich einladen!


Ein Blick in die Anfänge

Bei den Lehrenden konnten drei Gruppen identifiziert werden:

1. die Professorinnen, die durch die aktive Teilnahme an der Frauenbewegung zu den Frauenstudien gekommen war und sich als Feministinnen definierten: 

„Wie ich dazu gekommen bin? Klar, auf jeden Fall über die alte Linie: Studentenbewegung, Frauenbewegung. Ich hab 1969 angefangen zu studieren, und da ging es ja in der Soziologie, der kritischen Soziologie sehr viel um Arbeiterklasse, um materielle Verhältnisse usw., und man konnte ja überhaupt nicht übersehen, daß Frauen darin schlicht nicht vorkamen. Da war es nicht schwer, sich zu fragen, was denn mit den Frauen ist.“

2. diejenigen, die durch frauenbewegte Studentinnen aufgefordert wurden, Frauenseminare anzubieten und dies häufig vor einem gewerkschafts- und sozialpolitischen Hintergrund übernahmen:

„Die frauenspezifischen Angebote haben sich sicher von den Studentinnen her entwickelt im Zusammenhang mit der Entstehung von Frauenzentren, Zentren für geschlagene Frauen, das war hier eine Projektentwicklung, die auch die Studentinnen sehr angeregt haben, da haben wir Dozentinnen, Kolleginnen dann eine Möglichkeit gesehen, mitzumachen, sozusagen…“

3. diejenigen, die eher kritisch-distanziert Frauenstudien und Frauenforschung als Teil von Wissenschaft betrieben und in ihre Angebote integrierten, ohne sich persönlich mit der Frauenbewegung oder feministischen Theorien zu identifizieren:

„Es gibt ja Feministinnen, für die es wichtig ist, daß sie in ihrer Forschung ihre eigenen Erfahrungen aufarbeiten. Das mache ich eigentlich nicht. Da würde ich sagen, bin ich eher gegenstandsbezogen oder wissensbezogen. Ich würde auch nicht sagen, daß die Beschäftigung mit dem Feminismus für mich wichtig wäre. (…) Was es vielleicht persönlich bedeutet hat, daß ich zwei Projekte gemacht habe und das publiziert habe. Darüber bin ich jetzt ein bißchen bekannt geworden.“

Der Reiz des Neuen

„Ich hab damals schon einen frauenpolitischen Ansatzpunkt verfolgt, aber es war nicht so, daß ich über die wissenschaftstheoretische Auseinandersetzung dazu gekommen bin. Mich hat es natürlich auch interessiert, weil es etwas Neues war. Man mußte selber dran arbeiten, es gab kaum Literatur damals, so dass auch die Eigenleistung erheblich ist …, und das hat mich immer interessiert.“

„Ich war durchaus ganz angetan von der Art des Umgangs miteinander, das fand ich ganz sympathisch. Ich hatte bis dahin eigentlich keine positiven Erfahrungen mit Frauen. (…) in einer Mädchenschule Abitur gemacht, das fand ich ganz gräßlich… ich hatte nie die Möglichkeit gehabt zu sagen, ich bin ein Mädchen, ich kann das nicht, das gab es einfach nicht (…) trotzdem die Erfahrung der Zurücksetzung in dieser Gesellschaft, zweifellos, insofern konnte ich vieles auch verstehen.“

„Also insgesamt bin ich lebendiger geworden, froher geworden, mit mir selbstsicherer mit dem, was ich hier bin, das ist das Wichtigste, ganz persönlich für mich. Das Wichtigste ist die Wahrnehmung, daß ich hier nicht allein bin, daß ich wirklich einen Raum habe, den ich selbst gestalten kann mit anderen Frauen zusammen und so, wie es mir genehm ist. Ja, und daß ich mit meiner Art auch richtig bin, und daß ich mich da nicht in den wissenschaftlichen Bereich reingeschlichen hab und auch was zu sagen hab.“

Welches Image haben die Frauenstudien? Über Duldung, Anerkennung, Machtkämpfe

„Ich habe den Eindruck, daß es hier ein ganz interessantes Image ist, hier sind progressive Kollegen, aufgeschlossene Männer, angeblich. Ich glaube aber, daß sie es einfach so dulden.“

„Viel Anerkennung, was damit zusammenhängt, daß ich auch viel geschrieben hab, und ich hab nicht die Erfahrung gemacht, dass das geringschätzig behandelt wird, gar nicht, eher im Gegenteil. Was nicht heißt, daß alle inhaltlich da was mit zu tun haben wollen, wenn´s darauf ankäme, weiß ich nicht, wie das dann aussähe. An diesem Fachbereich ist es ganz klar, an Frauenfragen kommt keiner vorbei, zumindest in der Weise nicht, daß es hier im Fachbereich verankert ist.“

„Das ist bei uns sehr gemischt, ich halte das für eine sehr sehr komplizierte Angelegenheit bei uns. Je nachdem, was die Kollegin, die Frauenthemen vertritt, für eine Position gegenüber den Kollegen hat, ob sie sie ernstnehmen, ob sie sie fürchten, z.B. weil sie ´ne scharfe Zunge hat oder ob sie eine ist, auf der man rumtrampeln, kann, die man fertigmachen kann, je nachdem wird das anders eingeschätzt.“

„Der Kampf ist offen geworden, also heute kriegen wir schon zum Teil mit, daß es ein richtiger Krieg um Macht ist und um Privilegien, und daß auch Strategien gemacht werden, es ist nicht diese Ebene, wo es hintergründig lief, sondern das ist jetzt vordergründiger.“

Reaktionen der männlichen Kollegen

„Da ist ein Stück Anerkennung, dass man einen Schwerpunkt aufgebaut hat, bei einigen Kollegen durchaus gemischt mit Abwertung, Belächeln, aber nur bei einigen, bei einer Minderheit. Es gibt andere Kollegen, die sagen, das ist unheimlich wichtig, Frauenarbeit zu machen, das unterstützen wir, das finden wir ganz toll, daß Sie das machen.“

„Ich glaube, daß wir bei einer Befragung der Männer ´ne deutliche Antwort bekommen würden, da die Opportunismusantworten an der Tagesordnung wären. Niemand traut sich heute noch, Frauenthemen als überflüssig zu deklarieren, es sei denn, er möchte sich mit Kopfjägerinnen anlegen. Die halten die Fahne aus Opportunitätsgründen hoch, auch wenn sie es innerlich nicht so meinen. Wenn du fragst, wer es ehrlich meint, würde ich zwei, drei, sagen, wenn´s hochkommt!“

Zu den Perspektiven der Frauenstudien – muss Feminismus gelehrt werden?

„Die jungen Frauen, die nachwachsen, sagen, dass sie als Frauen nicht unterdrückt sind und sich damit deshalb nicht auseinandersetzen wollen, also von einem ganz emanzipierten Standpunkt aus, oder sie finden sich ganz unabhängig von der Fachhochschule in Frauenprojekten, -veranstaltungen und -sachen und wollen das dann hier im Studium nicht auch noch machen. Deshalb bin ich etwas vorsichtig mit dem Institutionalisieren von Frauenstudien. Denn wenn man hier eines Tages Feminismus lernen muss, ist das schlecht. Sobald etwas zu Lehrstoff wird, verliert es seine politische Potenz, das gilt auch für den Feminismus und für die Frauenfrage. Es muss eine Frage bleiben, die in den einzelnen lebendig ist, und das lässt sich nicht kanonisieren.“

„Ich finde, es gibt kein Thema, das nicht auch eine Geschlechtsdimension hat,… Feministische Inhalte finde ich, müßten allmählich auch die männlichen Kollegen integrieren…“

Von den Frauenstudien zur Geschlechterfrage

„Bei der Sozialpädagogik, die im Kern immer mit gestörten Geschlechterverhältnissen zu tun hat, gibt es keinen Bereich, in dem das nicht zentral ist. Wenn die gleichzeitig ein Studium zulassen, wo das Geschlechterverhältnis nicht thematisiert werden muss, finde ich das einen Skandal. Dann hat sich die Sozialpädagogik selbst nicht verstanden, dann weiß sie überhaupt gar nicht, wozu sie da ist. Es ist nicht alles Ökonomie und Kapital und Lohnarbeit. Es sind Krisensituationen, und die Krisensituationen, in die die Leute kommen, haben immer mit Geschlechterverhältnissen zu tun. Wo gibt es denn ein Feld, wo das keine Rolle spielt? Es gibt keines, weder der Junge im Knast, noch die Gewalt im Jugendzentrum noch die Sozialhilfeempfänger, es gibt nichts, was damit nicht wirklich zentral zu tun hätte.“

„Vielleicht ist es ja so, dass wenn man vom Allgemeinen auf das Geschlecht kommt und wenn es Frauen sind, ist es das weibliche, dass man da eine lange Zeit etwas aufzuarbeiten hat. Bis man denkt, daß es umschlägt in weniger Produktivität, wo man die Produktivität woanders sucht, aber nicht im Allgemeinen. Und daß das Geschlechterverhältnis erstmal und als erstes von den Frauen thematisiert wird, hängt damit zusammen, daß dieses Thema für Männer viel mehr tabuisiert ist als für Frauen.“

„Was durch die Frauenforschung geschehen ist, ist, dass die Geschlechterfrage im Raum steht, wie auch immer man sie verfolgt und beantwortet, sie ist jedenfalls gestellt.“

Unübersehbar deutete sich der Perspektivwechsel von der Frauen- zur Geschlechterforschung schon vor 30 Jahren an. Den Pionierinnen der Frauenforschung haben wir es zu verdanken, dass sie mit ihren hohen Idealen, ihrem Engagement und Kampfgeist Fragen der Geschlechtergerechtigkeit in die Hochschulen getragen und damit zweifellos die Grundlagen für die heutigen Gender – und Queerstudies geschaffen haben.

Prof. Dr. Margitta Kunert (i. R.) – Frankfurt University of Applied Science, Fachbereich Soziale Arbeit & Gesundheit und DGSA Sektion Gender und Queer Studies in der Sozialen Arbeit. Kontakt: mkunert@fb4.fra-uas.de

Literatur
 
Kunert-Zier, Margitta (1989): Curriculare Aspekte der Frauenlehre und Frauenforschung in den Fachrichtungen Sozialarbeit und Sozialpädagogik an hessischen Fachhochschulen und der Gesamthochschule Kassel – Eine Bestandsaufnahme. Im Auftrag der Fachhochschule Frankfurt, Frankfurt a. M. Unveröffentlichter Bericht.

Kunert-Zier, Margitta (1990): Berufsbiographien hessischer Wissenschaftlerinnen. In welcher Weise wirken sich unterschiedliche Zugänge zu Frauenstudien als Frauenforscherin aus? Gibt es diesbezüglich unterschiedliche Vorstellungen über Ziele und Inhalte von Frauenstudien? Eine Auswertung von Interviews. Im Auftrag der Fachhochschule Frankfurt, Frankfurt a. M. Unveröffentlichter Bericht.


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