Vorstellung eines jungen Arbeitsfeldes in der Sozialen Arbeit im tertiären Bildungsbereich – von Cordula Borbe und Ines Jahne.
Psychische Gesundheit von Studierenden
Studierende stehen im Verlauf ihres Hochschulstudiums zunehmend komplexeren Herausforderungen gegenüber. Diese gehen meist über akademische Anforderungen weit hinaus, z.B. soziale, psychische oder finanzielle Problemlagen. Laut 22. Sozialerhebung im Jahr 2021 ist etwa jede:r sechste Studierende (16 Prozent) von mindestens einer Diagnose im Bereich psychischer Störung betroffen (vgl. Kroher et al. 2023, S. 42). Dieser Anteil lag 2016 noch bei elf Prozent (vgl. Middendorff et al. 2017, S. 12). Als häufige psychische Störungen unter Studierenden sind Depressionen und Angststörungen identifiziert (vgl. Grützmacher et al. 2018, S. 42).
Hochschulen erkennen den damit einhergehenden Unterstützungsbedarf. Vielfältige Angebotsstrukturen, wie zum Beispiel des Studierendenwerks, greifen den Bedarf auf. Doch oftmals kann der Beratungsbedarf nicht gedeckt und der Abbau von Hemmschwellen, Hilfe in Anspruch zu nehmen, vor Ort nicht geleistet werden. Vor diesem Hintergrund ist die Hochschulsozialarbeit als im tertiären Bildungsbereich angesiedeltes Angebot für Studierende von äußerster Relevanz.
Hochschulsozialarbeit als ergänzende Support-Struktur
Der Begriff Hochschulsozialarbeit findet bisher (noch) keine bundesweite Verbreitung, vielmehr ist die Hochschulsozialarbeit als ein neues Arbeitsfeld der Sozialen Arbeit anzusehen (vgl. Markert 2024, o.S.; Borbe et al. 2024, S. 82).
Hochschulsozialarbeit arbeitet konzeptionell auf der Basis von drei zentralen Zielstellungen:
- Studienabbrüchen und verlängerten Studienzeiten entgegenwirken,
- Studienerfolg durch präventive Angebote sichern und
- Employability Studierender fördern.
Hochschulsozialarbeit leistet akut niedrigschwellige Maßnahmen zur Unterstützung Studierender. Die Adressat:innen werden bei der Bewältigung ihrer studentischen, sozialen und psychischen Problem- und Lebenslagen durch Sozialarbeitende ressourcenorientiert, partizipativ und individuell begleitet (vgl. Borbe et al. 2024, S. 84). Dabei sollen Problemlösekompetenzen von Studierenden erweitert, ihre soziale Teilhabe und Studierfähigkeit gefördert werden (vgl. Borbe et al. 2024, S. 85). Das Arbeitsfeld der Hochschulsozialarbeit erreicht dies durch (vgl. Borbe et al. 2024, S. 84):
- Konzeption und Durchführung von Maßnahmen der Einzel- und Gruppenberatung, Gruppenveranstaltungen und Lerncoaching,
- hochschulinterne und –externe Kooperation und Vernetzung mit (regionalen) Unterstützungsstrukturen,
- gezielte Bekannt- und Sichtbarmachen unterstützender (Präventiv-)Angebote durch die Hochschulsozialarbeit.
Aufsuchend, niedrigschwellig und präventiv
(Beratungs-)Angebote für Studierende müssen „bekannt, sichtbar, erreichbar und ausreichend ausgestattet“ sein, um nachgefragt zu werden (Kroher et al. 2023, S. 135). Einer Nichtinanspruchnahme möchte Hochschulsozialarbeit daher entgegenwirken, denn für Menschen mit psychischen Herausforderungen kann es ausschlaggebend sein, in welcher Form die Unterstützung niedrigschwellig ist (vgl. Hofmann et al. 2017, S. 17).
Beispielhaft wird Hochschulsozialarbeit an der Hochschule Nordhausen in Thüringen angeboten. Im Jahr 2022 zunächst aus Mitteln des Corona-Studierendenhilfe-Fonds für Studierende gegründet, ist das Projekt seit 2024 als Modellprojekt für das Land Thüringen implementiert (vgl. Borbe et al. 2024, S. 82). Die Hochschulsozialarbeit agiert dort als Anlauf- und Kontaktstelle am Campus der Hochschule Nordhausen, indem sie proaktive Ansprache mit gebrandeter Kleidung auf dem Campus betreibt, an Werktagen mehrsprachige Sprech- und Beratungszeiten über verschiedene Kommunikationskanäle (Präsenz, Online, Mail, Telefon, Messenger) anbietet, im regionalen Versorgungssystem vernetzt ist, Präventionsarbeit leistet und Bedarfe von Studierenden und Lehrenden in (Lehr-)Veranstaltungsangebote integriert. Bedarfe Studierender am Campus werden im Laufe des Semesters erfasst, vor Ort z.B. durch Gruppenaktionen und –veranstaltungen umgesetzt und durch Aufsuchende Soziale Arbeit ergänzt. Die Sozialarbeitenden im Team der Hochschulsozialarbeit kennen die Strukturen des Campus und des regionalen Versorgungssystems. Diese Kenntnis bedeutet für die Netzwerk- und Vermittlungstätigkeit einen hohen Mehrwert. Hochschulsozialarbeit hat damit eine wichtige „Brückenbauer-Funktion“, die zwischen Studierenden, Lehrenden und Institutionen aus dem Gesundheits- und Sozialwesen fungiert und trägt zu einer gerechten und inklusiven Lernumgebung für Studierende und zur Entlastung Hochschullehrender bei.
Seit September 2024 wird die Hochschulsozialarbeit in Nordhausen intern und seit dem Januar 2025 extern evaluiert. Durch die Auswertung erhobener Daten können die Angebote noch passgenauer geplant und durchgeführt werden und deren langfristige Wirksamkeit evaluiert werden. Darüber hinaus ist ein bundesweiter Hochschul-Diskurs erforderlich, der sich damit auseinandersetzt, inwiefern das Konzept der Hochschulsozialarbeit auch an anderen Hochschulen und Universitäten in Deutschland implementierbar ist, um die psychische Gesundheit Studierender zu fördern.
Prof. Dr. Cordula Borbe hat eine Professur für Soziale Arbeit inne und ist Vizepräsidentin für Studium & Lehre an der Hochschule Nordhausen. Anschrift Hochschule: Hochschule Nordhausen, Weinberghof 4, 99734 Nordhausen E-Mail: Cordula.Borbe@hs-nordhausen.de
Ines Jahne, M.A. Therapeutische Soziale Arbeit, arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt „Hochschulsozialarbeit“ an der Hochschule Nordhausen. Anschrift Hochschule: Hochschule Nordhausen, Weinberghof 4, 99734 Nordhausen E-Mail: Ines.Jahne@hs-nordhausen.de
Weiterführende Informationen:
Website: https://www.hs-nordhausen.de/service/anlauf-und-beratungsstellen/hochschulsozialarbeit/
Instagram: https://www.instagram.com/hochschulsozialarbeit.ndh/
Fragen und Anmerkungen gerne an: ines.jahne@hs-nordhausen.de oder hochschulsozialarbeit@hs-nordhausen.de
Literatur
Borbe, C., Gabriel, N., Montz-Schiller, S. (2024): Hochschulsozialarbeit. Studierende im Fokus der Sozialen Arbeit. DZI. S. 82-86. Doi: doi.org/10.5771/0490-1606-2024-3-82
Grobe, T. G., Steinmann, S., Szecsenyi, J. (2018): Arztreport 2018. Schriftenreihe zur Gesundheitsanalyse. Band 7. S. 8-9. Siegburg: Müller Verlagsservice e.K. Abrufbar unter: https://www.barmer.de/resource/blob/1027234/08f7b513fdb6f06703c6e9765ee9375f/barmer-arztreport-2018-schriftenreihe-band-7-data.pdf (Stand: 18.08.2025).
Grützmacher, J. G., Gusy, B., Lesener, T., Sudheimer, S., Willige, J. (2018): Gesundheit Studierender in Deutschland 2017. Ein Kooperationsprojekt zwischen dem Deutschen Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung der Freien Universität und der Techniker Krankenkasse. S. 42. Abrufbar unter: https://www.ewi-psy.fu-berlin.de/psychologie/arbeitsbereiche/ppg/forschung/BwB/bwb-2017/_inhaltselemente/faktenblaetter/Gesamtbericht-Gesundheit-Studierender-in-Deutschland-2017.pdf (Stand: 18.08.2025).
Hofmann, F.-H., Sperth, M., Holm-Hadulla, R. M. (2017): Psychische Belastungen und Probleme Studierender. Entwicklungen, Beratungs- und Behandlungsmöglichkeiten. In: Psychotherapeut (62). S. 17. Abrufbar unter: https://link.springer.com/article/10.1007/s00278-017-0224-6 (Stand: 18.08.2025).
Kroher, M., Beuße, M., Isleib, S., Becker, K., Ehrhardt, M.-C., Gerdes, F., Koopmann, J., Schommer, T., Schwabe, U., Steinkühler, J., Völk, D., Peter, F., Buchholz, S. (2023): Die Studierendenbefragung in Deutschland. 22. Sozialerhebung. Die wirtschaftliche und soziale Lage der Studierenden in Deutschland 2023. S. 42, 132, 135, 137-138. Abrufbar unter: https://www.bmbf.de/SharedDocs/Publikationen/DE/4/31790_22_Sozialerhebung_2021.pdf?__blob=publicationFile&v=4 (Stand: 18.08.2025).
Markert, Andreas (2024): Hochschulsozialarbeit. Abrufbar unter: https://www.socialnet.de/lexikon/Hochschulsozialarbeit (Stand19.06.2025).
Middendorff, E., Apolinarski, B., Becker, K., Bornkessel, P., Brandt, T., Heißenberg, S. & Poskowsky, J. (2017): Die wirtschaftliche und soziale Lage der Studierenden in Deutschland 2016. Zusammenfassung zur 21. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks – durchgeführt vom Deutschen Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung. S. 12. Berlin: Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF). Abrufbar unter: https://www.bmbf.de/SharedDocs/Publikationen/DE/4/31338_21_Sozialerhebung_2016_Zusammenfassung.pdf?__blob=publicationFile&v=4 (Stand: 18.08.2025).
Hinterlasse einen Kommentar